Der Leverkusener Weitspringer Léon Schäfer hat bei den Internationalen Deutschen Para Leichtathletik-Meisterschaften in Singen den Weltrekord von Mentor und Vorbild Heinrich Popow verbessert.
Schon vor Wettkampfbeginn hatte Léon Schäfer geahnt, dass heute sein Tag sein würde. Der 22-Jährige war nach dem Karriereende von Heinrich Popow im vergangenen August nicht zuletzt vom Paralympicssieger und Weltrekordhalter persönlich zum Nachfolger auserkoren worden. Die 6,77 Meter, die Popow in der Vorbereitung auf die Paralympischen Spiele 2016 in Hachenburg gesprungen war, standen da noch immer in der Bestenliste ganz oben.
Doch der oberschenkelamputierte Schäfer ließ zu Beginn der Saison mit 6,53 Metern und einer neuen Bestleistung aufhorchen. „Von den Trainingsergebnissen her war es vorherzusehen, dass es irgendwann weitergeht als seine bisherige Bestleistung von 6,53 Metern“, sagte Karl-Heinz Düe, Schäfers Trainer beim TSV Bayer 04 Leverkusen, nach dem Wettkampf: „Dass es jetzt 6,80 Meter sind… Wir hatten schon gute Bedingungen, eine gute Anlage, leichten Rückenwind. Wenn alles zusammenkommt, kommt eben eine gute Leistung raus.“
Schon im ersten Versuch landete Schäfer bei 6,74 Meter, im dritten legte er 6,76 Meter nach – um im fünften dann mit 6,80 Meter die Zuschauer zu begeistern, die er auf der Jagd nach den entscheidenden Zentimetern in seinen Bann gezogen hatte. „Es ist schon eine kleine Ehre, ihm den Rekord weggenommen zu haben“, sagte Schäfer und richtete sich direkt an seinen Mentor und Kumpel, der ihm auch schon während der aktiven Karriere immer mit Rat und Tat zur Seite stand: „Heino, du weißt, nur Liebe für dich, aber irgendwann musste es passieren und jetzt war halt die Zeit für mich. Ich denke, er verkraftet das.“
Trainer Karl-Heinz Düe, der auch schon Popow von Beginn an trainiert hatte, sah das ähnlich wie Schäfer: „Das ist Hochleistungssport, es ist nichts stetig, es geht immer weiter. Ich glaube schon, dass der Heinrich damit umgehen kann und sich dessen auch bewusst ist und ich glaube, wenn Léon den Weltrekord hat, das freut ihn am meisten.“
Popow selbst, der auf den Tag genau vor sechs Jahren den Weltrekord über 100 Meter geholt hatte, fand nur lobende Worte für seinen Nachfolger: „Er ist wie ich vom Kopf her – ein Chaot, der liebt, was er macht. Nicht Standard, sondern eine echte Marke. Ich bin glücklich, ich bin happy und stolz, dass ich beide Weltrekorde an meine eigenen Leute verloren habe.“
Über 100 Meter war im vergangenen Jahr der Brasilianer Vinicius Rodrigues schneller gesprintet und als erster oberschenkelamputierter Athlet unter zwölf Sekunden geblieben. Ihm hatte Popow im Zuge der Ottobock Running Clinics bei den ersten Schritten mit einer Prothese geholfen und ihm das Sprinten beigebracht – ähnlich, wie er Schäfer in Leverkusen sofort anleitete und ihm stets half, das Optimum rauszuholen.
Schäfer, der in einer starken Startklasse nun der Gejagte sein wird, definiert seine Ziele für die WM Ende November in Dubai und die Paralympics 2020 in Tokio defensiv. Perspektivisch möchte er unter zwölf Sekunden sprinten und als erster Oberschenkelamputierter über sieben Meter springen: „Ich will die Leistung auf jeden Fall verbessern, im Weitsprung noch was drauflegen und über 100 Meter auch. Zeiten und Weiten sind schwer vorherzusagen, aber auf jeden Fall ist es mein Ziel, das noch zu verbessern, vielleicht sogar deutlich.“
Dass er das kann, daran bestehen kaum Zweifel – denn auch Popow weiß: „Das war erst der Anfang, er hat viel mehr Talent als ich.“
Bensusan stellt Weltrekord erneut ein
Neben dem historischen Weitsprung-Weltrekord von Léon Schäfer stellte Irmgard Bensusan bei der Internationalen Deutschen Para Leichtathletik-Meisterschaft in Singen ihren Weltrekord über 100 Meter erneut ein. Franziska Dziallas rannte zu einem deutschen Rekord.
Der Weitsprung-Weltrekord von Léon Schäfer, der damit die alte Bestmarke von Paralympicssieger Heinrich Popow um drei Zentimeter auf 6,80 Meter verbesserte, war das Highlight der Deutschen Meisterschaften am Fuße der Festungsruine Hohentwiel.
Doch auch zuvor hatte es aus Leverkusener Sicht starke Leistungen gegeben: Irmgard Bensusan sprintete im Finale über 100 Meter 12,72 Sekunden und lief damit nach Nottwil und Leverkusen zum dritten Mal die gleiche Weltrekordzeit. Das Besondere dieses Mal war, dass sie zu Beginn des Rennens weit zurücklag und am Ende sich im Ziel mit der zweitplatzierten freuen durfte. Die sehbehinderte Sprinterin Janne Engeleiter vom BPRSV Cottbus erfüllte mit 12,76 Sekunden nämlich exakt die WM-Norm für Dubai, nachdem ihr bislang noch zwei Hundertstelsekunden gefehlt hatten.
Mittelstrecklerin Franziska Dziallas rannte über 1500 Meter in 4:59,32 Minuten erstmals unter fünf Minuten und verbesserte ihren eigenen deutschen Rekord zum wiederholten Male. Andreas Gröbner gelang mit der Kugel mit einer Weite von 9,30 Metern eine neue Bestweite. Zudem präsentierte sich Nele Moos mit 1:11,41 Minuten bei ihrem 400-Meter-Debüt stark.
Erste Plätze gab es für Maria Tietze (200m), Franziska Dziallas, Johannes Bessell (beide 1500m), Irmgard Bensusan (100 Meter), Tom Sengua Malutedi (Hochsprung) und Léon Schäfer (Weitsprung). Malutedi wurde dazu zwei Mal Zweiter (Hochsprung, 100 Meter), ebenso wie Nele Moos im Weitsprung und über 400 Meter sowie Tim Jürgens im Weitsprung. Bastian Börsch wurde zudem Dritter im Weitsprung.
Mit 17 Athletinnen und Athleten hatte der TSV wieder einmal das größte Team bei der Deutschen Meisterschaft gemeldet, auch wenn dann kurzfristig Johannes Floors, David Behre und Moritz Hoffmann auf einen Start verzichten mussten.
Parasport-Geschäftsführer Jörg Frischmann war zufrieden mit der Reise in die Nähe des Bodensees, auch wenn einige Starter hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben waren: „Zwei Weltrekorde und ein deutscher Rekord, mehr ist fast nicht möglich.“
Quelle Text und Bilder: Nico Feißt