Der 17 Jahre alte Taliso Engel hat bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in London dank eines furiosen Endspurts über 100 Meter Brust überraschend Gold gewonnen, obwohl er noch zwei Tage zuvor den Start über die 400 Meter Freistil wegen einer Nasennebenhöhlenentzündung absagen musste.
Bereits am Vorabend bezeichnete Bundestrainerin Ute Schinkitz den EM-Dritten der SG Bayer aus Leverkusen als ihren „Joker“, weil ihn im Londoner Aquatics Center wohl niemand auf der Rechnung haben würde. „Ich war selbst ehrlich überrascht, wie gut das lief“, sagte der sehbehinderte Nürnberger ein paar Stunden nach seinen 1:05,58 Minuten im Vorlauf – neuer deutscher Rekord! Engel schlug im Halbfinale zeitgleich mit dem Usbeken Firdavsbek Musabekov an. Die beiden lieferten sich auch im Finale ein enges Rennen, in das der elffache Paralympicssieger und jahrelange Dominator Ihar Boki einstieg.
Engel legte jedoch einen unglaublichen Endspurt hin, überholte auf den letzten 20 Metern den Usbeken und sicherte sich bei seiner ersten WM gleich Gold. Seine Finalzeit, 1:05,20 Minuten, bedeutete nochmals eine Steigerung seines zuvor aufgestellten deutschen Rekordes: „Ich kann das gar nicht glauben. Vor ein paar Tagen war ich noch krank und jetzt habe ich Gold.“ Musabekov wurde mit 29 Hundertsteln Rückstand Zweiter, Bronze ging an Boki aus Weißrussland (1:05,50 Minuten).
„Nachdem er zwei Wochen erkältet war, dachte ich, vielleicht, vielleicht, vielleicht wird es hoffentlich eine Bronzemedaille“, sagte Mutter Cosima Engel, die auf der Tribüne mitfieberte: „Aber an einen WM-Titel hätte ich nie gedacht. Ich bin fix und fertig mit den Nerven, total happy und absolut stolz auf meinen tollen Sohn.“
2015 war Engel nach Leverkusen gewechselt und ist dort am Paralympischen Trainingsstützpunkt bei Marion Laub, in der Heimat trainiert er in der ersten Mannschaft der SG Mittelfranken am Regionalstützpunkt in Nürnberg. Mit 13 Jahren schwamm er erstmals bei einer Europameisterschaft, eigentlich hätte er dann 2017 in Mexiko mit 15 sein WM-Debüt feiern sollen, doch ein schweres Erdbeben verhinderte das: Die WM wurde um drei Monate verschoben, Engel durfte in der Schule nicht mehr fehlen.
Schon bei seinem ersten WM-Start am Mittwoch hatte er über 100 Meter Freistil dann seine Bestzeit um fast zwei Sekunden auf 56,89 Sekunden verbessert, dabei „habe ich eigentlich schon seit gestern immer nur geschaut, was dabei rauskommt und habe mir nicht irgendwie Ziele gesetzt“, sagte Engel, der nun der erste Leverkusener Schwimm-Weltmeister seit Sebastian Iwanow 2010 ist: „Und joa, das ist heute halt dabei rausgekommen, ich bin ziemlich glücklich darüber.“ „Der Tag heute war einfach nur sensationell“, freute sich Ute Schinkitz, nachdem auch Elena Krawzow und Verena Schott Gold gewonnen hatten. Die Goldmedaille von Engel sei „kaum zu glauben“, sagte die Bundestrainerin, während Engel die Foto-Wünsche von kreischenden englischen Schulmädchen erfüllte – wohlwissend, dass er nicht zu lange feiern kann, da er bis Sonntag noch über 200 Meter Lagen, 100 Meter Schmetterling und 50 Meter Freistil an den Start gehen wird.
Quelle: TSV Bayer 04 Leverkusen, Nico Feisst, Bild: Ralf Kuckuck